
„Lassen Sie mich raten, Sie müssen alles mit den beiden diskutieren?“ Die Caritas-Mitarbeiterin hatte beide Kids kennengelernt und traf natürlich mit der (rhetorischen) Frage voll ins Schwarze.
Ja, es wird alles diskutiert, und wenn ich alles sage, meine ich absolut alles. Hätte ich für jedes „Ja, aber…“ meines Söhnchens einen Cent bekommen, ich könnte jetzt getrost in Frührente gehen.
Bestimmte Ansagen. Keine Fragen, sondern starke, entschlossene Aussagesätze. Im besten Fall noch die Pseudowahl lassen zwischen A und B, dann muss man nicht diskutieren. Nicht auf Widerrede eingehen.
Das ist alles schön und gut. Bei ADHS-Kindern bringt es genau gar nichts. Mein Sohn fängt aus Prinzip schon an zu diskutieren. Es scheint ihm zutiefst zu widerstreben, etwas so zu machen, wie man es von ihm erwartet.
„Schlafenszeit, ab ins Bett!“ führt zu: „Ja, aber es ist noch nicht ganz dunkel draußen und du hast mal gesagt, dass…“
„Im Kinderzimmer wird nicht gegessen!“ bekommt ein: „Das war ich nicht, die Krümel waren schon da, bevor…“
„Bitte räum deine Zahnbürste aus der Küche!“ wird quittiert mit: „Die habe ich da hingelegt, weil… und sie sollte dort bleiben aus… Gründen.“
Es kommt kein: Klar, Mami, mach ich. Kein: Oh, sorry, da hast du Recht, das gehört da nicht hin. Kein: Tut mir Leid, vergessen, hole ich nach.
Sondern immer ein: Okay, aber so sieht meine Seite der Geschichte aus, ich habe eigentlich Recht, du Unrecht, und deswegen darfst du weder schimpfen noch böse werden, wenn du Dinge fünf Mal wiederholen musst.
Das ist in erster Linie ANSTRENGEND. Zeitraubend. Und frustrierend. Und geht munter weiter, selbst wenn ich manchmal erschöpft sage: „Ich diskutiere das jetzt nicht. Ich kann nicht mehr. Mach das einfach.“
Ich hatte mir vorgenommen, meinen Kindern zu erklären, warum die Welt so funktioniert wie sie funktioniert. Warum ich Dinge von ihnen erwarte. Welcher Sinn hinter Regeln steht. Ich wollte es nicht machen wie die Generation meiner Eltern, bei denen man selten das Warum verstand. Denn das war verwirrend und führte dazu, dass ich mir als Kind oft unwissend, klein und dumm vorkam.
Daher erklärte ich. Erläuterte, führte aus. Das ist wichtig, weil. Stell dir mal vor, keiner würde. Wäre doch gefährlich, wenn. Einzig: Das machte es nur schlimmer. Jeder Satz von mir war eine Einladung an meinen Sohn, weiterzudiskutieren, waren noch mehr Triggerwörter, die noch weiter vom Thema wegführten.
„Wieso diskutierst du mit ihm?“ fragte mein GöGa manchmal. „Weil er doch verstehen soll, worum es geht“, sagte ich dann.
Geholfen hat mir dieser Podcast. Ein junger Mann mit ADHS erklärt darin, für ihn seien Diskussionen stets mit einem guten Gefühl begleitet gewesen, er fand sie anregend und bereichernd.
„Und sämtliche neuronal-normalen Freunde waren am Schluss angepisst und genervt“, erzählt er. Das habe er nie verstanden, weil, sei das nicht alles großartig gewesen?
Ich versuche, diese Aussage im Hinterkopf zu behalten. Mir bei Diskussionen zu sagen: Halt. Geh kurz raus, atme durch. Beruhige dich. Werd nicht sauer. Für das Söhnchen ist das gerade eine ganz andere Nummer als für dich – du bist komplett genervt, er hat das dringende Bedürfnis, seinen Standpunkt darzulegen, das ist aber nicht er, das ist sein ADHS.
Ein paar Mal hat es schon geholfen. Bei Weitem nicht immer, aber ab und an. Und das ist ja auch schon was.
Welche Absurditäten habt Ihr schon diskutiert, und was ist Eure Exit-Strategie?

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