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Enzymersatztherapie bei der seltenen Erkrankung Morbus Pompe

Medizinisches Equipment zur Infusionstherapie, Nexviadyme und Pumpe
So sieht sie aus, die fertige Infusionslösung zur Enzymersatztherapie

 

„Sie haben Glück im Unglück: Bei Ihrer handelt es sich um die einzige Muskelkrankheit, für die es eine sehr gute Medikation gibt.“

 

Das waren die Worte der Ärztin, die mir damals die Diagnose übermittelte. Am besten solle ich gleich starten, hieß es, denn die Therapie erhalte den Status Quo. Was erstmal kaputt sei, sei irreparabel, also so schnell wie möglich beginnen.

 

Das Enzym, das bei Pompe-Patienten nicht funktioniert (oder zumindest auf Sparflamme läuft), wird dem Körper alle zwei Wochen intravenös zugeführt. Es kann keine zerstörte Muskulatur reparieren, aber zumindest einem weiteren Abbau vorbeugen. Da der Krankheitsverlauf individuell ist, ist es schwierig vorherzusagen, wie schnell sich die Symptomatik verschlechtert.

 

Ich startete die Therapie allerdings erst vier Jahre später. Erst wurde ich schwanger mit dem Töchterlein, dann stillte ich, und zu dem Zeitpunkt wurde davon abgeraten, in einem der beiden Zustände die Infusionen zu geben. Man habe noch nicht ausreichend Daten gesammelt, also lieber nicht. Außerdem hatte ich zu dem Zeitpunkt nicht das Gefühl, Medikation zu benötigen, und die Infusionstherapie erschien mir viel zu aufwendig, um sie präventiv zu starten.

 

Erst Jahre später verschlechterte sich mein Zustand. Ich arbeitete in der Stadt und musste an einem Verkehrsknotenpunkt von der U-Bahn in den Bus umsteigen. Die Treppen hinauf waren eine Tortur, die ich kaum bewältigen konnte, und meist fuhr der Bus 200 Meter entfernt gerade in die Haltstelle ein, wenn ich an die Oberfläche kam. Ich versuchte viele Male vergeblich, zur Haltestelle zu sprinten, und bemerkte, dass meine Beine einfach nicht mehr mitmachten.

 

Das MRT bestätigte den Verdacht: Meine Oberschenkelmuskulatur, an der der Verschleiß und somit der Verlauf der Krankheit von Anfang an dokumentiert wurden, hatte ordentlich abgebaut.

 

 

Vom Krankenhaus zur Heimtherapie

 

Ich startete die Infusionen als erste Patientin, die in diesem Krankenhaus jemals diese Enzymersatztherapie bekam. Zu schönster Corona-Zeit, das hieß Mundschutz von Anfang bis Ende und Abstandhalten zu den Mitpatienten. Ich muss gestehen, ich trat zur ersten Infusion mit zittrigen Knien und klopfendem Herzen an. Bei der obligatorischen Aufklärung wurden mir zahlreiche Symptome aufgezählt, auf die ich achten sollte, da die Infusionen im schlimmsten Fall einen anaphylaktischen Schock auslösen könnten. Ich wurde vorsorglich in den Gang gesetzt, nicht ins ruhige Infusionszimmer, damit man „schneller auf den Ernstfall reagieren“ könnte. Ich wurde an drei verschiedene Apparaturen angeschlossen, die alle möglichen Werte maßen und Alarm schlagen sollten, und alle paar Minuten blieb jemand vor mir stehen und fragte, ob auch alles in Ordnung sei. Kein Herzrasen, kein Schwindel, keine Kopfschmerzen, keine Luftnot? Wunderbar.

 

Die Infusion dauert fast 4 Stunden, im Anschluss musste ich noch mehrere Stunden zur Nachbeobachtung bleiben. Da hatte die Ambulanz längst geschlossen, ich saß im dunklen, menschenleeren Flur, nur die behandelnde Ärztin war noch im Zimmer nebenan, falls etwas sein sollte. Nicht nur sie, auch die Krankenschwestern mussten rund ein Jahr lang alle zwei Wochen wegen mir Überstunden machen.

 

Ich arbeitete noch halbtags und hatte nicht den Eindruck, mit dieser Sonderlocke auf viel Verständnis zu stoßen, also konnte ich erst nach der Arbeit ins Krankenhaus fahren. Gleich in der Früh kommen und von dort arbeiten war nicht möglich, da die Apotheke das Medikament erst gegen Mittag lieferte.

 

Das Medikament muss gekühlt gelagert werden und hält nicht lang, weswegen die Lieferung nicht unkompliziert ist. Und: es ist sehr teuer. Jede Infusion kostet rund 30.000 Euro.

 

Mittlerweile bekomme ich die Infusionen schon seit drei Jahren in Heimtherapie. Ein Pfleger oder eine Pflegerin von Infusion@home kommt mit dem Medikament in Pulverform in kleinen Ampullen zu mir, mischt sie zu einer Infusionslösung und bleibt die komplette Zeit da, bis ich abgestöpselt und verpflastert bin. Die Infusionslösung und die Pumpe, die den Einlauf reguliert, hängen in einem handlichen Täschchen über meiner Schulter, die kleine Nadel steckt in der Vene meines Arms und ist gut befestigt, damit sie nicht herausrutscht. Ich bin so mobil und daran gewöhnt, dass ich oft die Nadel komplett vergesse und versehentlich den Arm zu stark beuge, so dass die Pumpe protestierend piepst, weil die Zufuhr blockiert wird.

 

Manchmal muss mehrfach gestochen werden, bis der Zugang liegt. Oder es ziept oder schmerzt leicht. Aber das ist auch schon alles. Ich habe bis heute – klopf auf Holz – keinerlei Nebenwirkungen erfahren, und mein Zustand hat sich stabilisiert. Das heißt, die Muskulatur hat nicht weiter abgebaut.

 

Arm mit Infusionskanüle
Ein kleiner Pieks, und schon läuft's bei mir

Kurklinik storniert meinen Platz – wegen meiner Infusionstherapie

 

Während ich diese Zeilen schreibe, wäre ich eigentlich auf Mutter-Kind-Kur mit dem Töchterlein gewesen. Mein Pfleger wäre gekommen und hätte mir die Infusion gegeben. Als die Kurklinik allerdings von meiner Grunderkrankung und der geplanten Therapie hörte, wurde mir der Platz gestrichen. Begründung: Sie seien eine Präventiv-, keine Akutklinik. Man sei nicht darauf vorbereitet, falls „etwas mit mir“ sei.

 

Auch das ist leider eine der Negativseiten einer so seltenen Erkrankung: Sie wirkt abschreckend auf diejenigen, die sich damit nicht gut auskennen. Ja, es könnte etwas mit mir sein. Genau so wie mit allen anderen Müttern und Kindern. Die Wahrscheinlichkeit bei mir ist nicht höher; alle Kurgäste können einen medizinischen Ernstfall erleiden. Ich denke aber, dass ich aufgrund all unserer Diagnosen den Platz dringender gebraucht hätte als viele, die dort tatsächlich aufschlagen.

 

„Sie sind sehr willkommen, wenn Sie die Infusionstherapie beendet haben“, hieß es seitens der Kurklinik noch.

 

Danke. Aber: Ich werde die Enzymersatztherapie für den Rest meines Lebens erhalten. Also, bye bye, Kurklinik – zumindest diese.

 

 

Ausblick und Hoffnung

 

Irgendwann wird meine „gute“ Vene zu vernarbt sein für die Prozedur, obgleich sie sich noch großartig hält. Dann werde ich vermutlich einen Port, also einen dauerhaften Zugang, implantiert bekommen. Die Infusionen sind längst Teil meines Alltags geworden und gehören zu meiner zweiwöchentlichen Montagsroutine. Und ich bin sehr froh und dankbar, dass sie existieren und sie so unkompliziert zu Hause gegeben werden können. Ich hoffe, dass die Krankheit mit dem Medikament möglichst lange in Schach gehalten werden kann.

 

Für ein Orphan Disease ist Morbus Pompe gut erforscht und sehr gut behandelbar – und wer weiß, vielleicht wird ja noch zu meinen Lebzeiten das Prozedere vereinfacht. Das wäre wunderbar.

 

 

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