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Wut - Erziehung vs. Autonomiestreben und Impulsivität

Wütender Junge mit Fäusten vor dem Gesicht
Aaaargh! Da ist jemand echt sauer

Drei von vier sind oft wütend. Der GöGa dagegen ist mit einer Engelsgeduld gesegnet, das seien die meisten Kubaner, meint er. Weil, wenn halt nix funktioniert, ist es sinnlos, sich ständig aufzuregen. Zumindest, was seine Familie betrifft, hat er Recht. Meine Schwiegermutter in Havanna lacht oft schallend über die größten Katastrophen, die ihr täglich widerfahren, und die mir beim bloßen Zuhören Tränen in die Augen treiben. Wie kann sie da lachen, fragte ich fassungslos den GöGa zu Beginn unserer Ehe. Weinen ändert auch nichts, war die Antwort.

Ich würde jetzt gern sagen, dass ich, inspiriert davon, ausgeglichener geworden bin. Dankbarer. Ruhiger. Ist aber nicht der Fall. Ich bin täglich wütend. Meine Kinder ebenfalls. Vermutlich hat unsere Wut denselben Kern: Die Welt funktioniert nicht so, wie wir das jeweils gern hätten. 

Ich bremse ihr Autonomiestreben mit – in ihren Augen – sinnbefreiten Verboten und Beschränkungen. Sie kooperieren nicht. Wir sind alle wütend. Meine Tochter brüllt, heult und knallt mit den Türen. Mein Sohn sucht nach Wegen, alles zu umgehen und doch zu tun, was er tun will, und endet stets in Tränen aufgelöst. Und ich schimpfe, diskutiere, fluche auch mal, versuche das Warum zu erklären und stoße doch nur auf taube Ohren.

Das erlebe ich täglich, aber es frustriert mich immer wieder aufs Neue. Kein Zucker mehr heute! Fernseher aus jetzt! Handy aus der Hand legen! Nein, ihr macht jetzt keinen crazy Shit mehr, es ist 8 Uhr und Zeit fürs Bett!

Ich spreche das laut und bestimmt aus. Allein, es endet immer gleich. Erst wird diskutiert und diskutiert. Sobald sie sich dann unbeobachtet wähnen, holen sie sich ihren Kick. Ich ertappe sie. Tochter brüllt und stampft beleidigt ab. Sohn entschuldigt sich mit hängendem Kopf. Nur 10 Minuten später wiederholt sich das Spiel in einer energiezehrenden, deprimierenden Endlosschleife. 

 

Wieder mal alles spannender als ins Bett zu gehen...

 

 

"Choose your fights", rät meine Therapeutin. "Es lohnt nicht, sich wegen allem aufzuregen. Manches kann man auch einfach mal so stehenlassen."

Das sagt sie schön. Das Prinzip finde ich gut. Denn: Ich will kein Spielverderber sein. Aber ich setze Regeln fest, die ich wichtig finde. Die auf lange Sicht das Beste für meine Kinder sind. Allein: Das kindliche Gehirn, ADHS hin, Neuronormalität her, denkt nicht langfristig. Meine Kids wollen JETZT ein zweites Eis, Kristalle züchten, die Glitzerschleimknete mit Wasser vermischen und dann im Kühlschrank verteilen, um zu sehen, was passiert (Spoiler: Der Kühlschrank ist klebrig-verkrustet und glitzert, die Knete wandert in den Mülleimer, die Mutter flucht und putzt). 

 

Das ADHS-Gehirn priorisiert nicht Schlaf, sondern Dopamin

 

Gerade abends wird es mit zunehmendem Alter schwieriger. Die beiden wollen nicht schlafen gehen, das ist "wangweilig", wie das Töchterlein es früher nannte. Daliegen und darauf warten, dass man wegknackt – wenn man doch viel spannendere Dinge tun kann!
Das ADHS-Gehirn priorisiert ausreichend Schlaf nicht, habe ich in diesem wunderbaren, augenöffnenden Podcast von einem betroffenen jungen Mann gelernt. Es will Dopamin, Dopamin, Dopamin. Das gibt Schlaf nunmal nicht her. 

Ich will aber, dass sich meine Kinder an regelmäßige Schlafenszeit halten, nicht zu viel Zucker abkriegen und lernen, Grenzen zu akzeptieren. Ich Partypooper bin der Ansicht, all dies wird ihnen zugutekommen. Und nein, abends um halb 9 möchte ich auch den Kühlschrank nicht mehr grundreinigen müssen, denn ich gehe außerordentlich gern schlafen.

Meine Tochter lässt der Wut freien Lauf. Schreit mich an, wie „umfair“ das ist, dass es jetzt kein zweites Eis gibt, das eine war ja wohl winzig und sie HAT NOCH HUNGER! Ich tappe prompt in die Falle und beginne eine Grundsatzdiskussion darüber, dass Eiscreme und Hunger nicht zusammengehen, aber da rauscht sie schon wutentbrannt ab und schlägt sehr hörbar die Tür zwischen uns beiden zu. Ich lerne halt auch nicht dazu.

Mein Sohn brüllt nicht. Mein Sohn steht mit Tränen in den Augen vor mir und starrt mich an, auch er unverhohlen wütend, wie konnte ich seine kostbare Knete in den Müll werfen? Das Experiment war noch nicht beendet und wer weiß, in was für wunderbare Konsistenzen sich dieser Schleim über Nacht noch transformiert hätte!

Das sind die Momente, in denen auch ich überzeugt bin: Die Atemübungen im Geburtsvorbereitungskurs ist nicht für die Geburt gedacht, sondern für die nächsten 24 Jahre, bis die Kinder ausziehen.

Meine Wut ist rot und heiß und schmerzhaft, da sie Magenschmerzen hervorruft. Oft fühle ich mich auch hilflos, weil ich mich nicht verständlich machen kann. 

„Machen Sie ein Codewort aus, damit die Kinder wissen, jetzt ist Schluss. Waschmaschine, rotes Tuch, etwas das klar signalisiert: Meine Grenzen sind erreicht“, schlägt meine Therapeutin vor. Und dann natürlich nicht überstrapazieren, sondern nur dann rufen, wenn echt gar nichts mehr geht.

 

Vielleicht sogar etwas, das so albern ist, das wir alle lachen müssen. Wenn Mama dasteht und „Wackelpudding!“ oder „Schlammschlacht!“ brüllt, kann man die Situation ja vielleicht etwas humoriger nehmen. Denn Ihr wisst ja: Besagte Situation ist ausweglos, aber nicht ernst.


Wie geht Ihr mit diesem Thema um?

 

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